EXERZITIEN 2004 INTERNATIONALE WALLFAHRT FÜR PRIESTER

ZUM GRAB VON MUTTER TERESA


von 1. bis 8. Februar 2004 - Calcutta, Indien

 

Von Pater Leonardo Kamalebo

 

Die Boeing der British Airways landet auf dem Talmac des Flughafens von Kalkutta, der Hauptstadt Westbengalens. Es ist 10 Uhr Ortszeit. Wir haben den Winter und den Schnee jenseits der Alpen schnell vergessen. Hitze, Licht und ein schmutziger Staub überfluten uns. Zu acht pferchen wir uns in eine Ambulanz, die die Missionsschwestern der Barmherzigkeit zu unserem Empfang hergerichtet haben. Die übel riechende Ausströmung des Elends, die Übelkeit erregenden Gerüche der Kanalisation der Slums verschmutzen die bereits stickige Luft in unserer Kutsche. Die Mücken schwirren uns um die, vom Radau von Schrott und der Menschenmenge verstopften, Ohren. Die Strasse, die Stadt sind ein riesiger Schrei, ein Gebrüll, ein Pfeifen, ein Hupen. Alles beeilt sich langsam: Die Elefantennester (ich wollte sagen Hühnernester) erlauben es den alten Fahrzeugen nicht, schneller als 40 km pro Stunde zu fahren. Man fährt in einer Sinuskurve: die Autos, die Lastwagen, die Velos, die Tiere, die Menschen,… voller Respekt und gegenseitigem Verständnis zwischen Verkehrsteilnehmern.
Von unserem Auto aus konnte man auch diese braven „Pferdemänner“ bewundern, mit ausgemergelten Körpern, nur Haut und Knochen, die unter einer bleiernen Sonne und kaum bekleidet, Rickshaws zogen, die schwerer waren, als sie selbst.
Man konnte auch diese schönen Inderinnen in mehrfarbigen Saris bewundern, die mit 18 Jahren, vom Leben gebeutelt, bereits alt sind. Und dann diese Schar von sich selbst überlassenen Kindern am Straßenrand, die leben möchten.
Noch immer aus unserem Taxi konnten wir diese „Notunterkünfte“ sehen, die Wind oder Regen auf Anhieb dem Erdboden gleich machen, und wo ganze Familien wie Sardinen hausen.

Ja, ich kam, sah und lebte. Das Leiden, das der Tourist, der von aussen Betrachtende sieht, ist nur die Spitze des Eisbergs. Dieses Leiden kann man heilen. Aber es gibt ein Leiden, das schmerzhafter ist, das ich auch gesehen habe. Aber lassen wir Mutter Teresa berichten: „Wenn ich auf der Strasse jemandem begegne, der Hunger hat, so stille ich diesen Hunger. Aber jemand, der ausgestossen ist, entsetzt ist, aus der Gesellschaft ausgeschlossen wurde, - diese Armut ist so schmerzhaft und so gross, dass ich sie unerträglich finde.“ Und die Mataji (die Mutter) wird an Deutlichkeit unübertreffbar: „Auf einem Abfallhaufen hatte man eine mit Wunden übersäte Frau gefunden. Von hohem Fieber befallen, hatte sie nur noch wenige Tage zu leben. Sie weinte ohne Unterlass, selbst als wir sie gewaschen und in ein Bett gelegt hatten. Schliesslich hat sie uns gesagt: „ Ich weine nicht, weil ich bald sterben werde. Es ist nicht deswegen, sondern weil mein Sohn mich hierher geworfen hat!“ „Es ist mein Sohn….“ Das ist hart! Die Schwestern oder die Freiwilligen bringen diese ungeliebten menschlichen Lumpen, im Schlamm liegend und nicht selten von Ameisen und Ratten angefressen, in Wagen oder den TATA Ambulanzen in diese Sterbehäuser. „Sie haben gelebt wie Hunde“, sagt Mutter Teresa, „mögen sie wenigstens wie Menschen sterben.“
Onil, dieser sterbende Alte, Hand in Hand mit Mutter Teresa, sagt ihr vor seinem letzten Atemzug in brüchigem, aber zuversichtlichem Tonfall: „Ich habe wie ein Tier auf der Strasse gelebt. Jetzt kann ich sterben wie ein Engel, geliebt und gepflegt.“

 

UNSERE KALKUTTAS

„Es gibt keinen Ort auf der Welt ohne Armut und Ungerechtigkeit“, sagte Mutter Teresa. Kalkutta ist allgegenwärtig in unseren Städten, Quartieren, Dörfern, Häusern. Kalkutta ist überall dort, wo der Mensch in seiner Menschenwürde verletzt wird, wo er hungrig, nackt, gefangen, durstig ist (Mt 25, 31) und nach eurer Liebe verlangt.
„In England leidet man an Einsamkeit“, stellte Mutter Teresa fest. „Es fehlt nicht an Brot, aber an menschlicher Zuneigung. Hier ist unser hungriger Christus.“ „ Der Schöpfer des Universums verlangt nach der Liebe seiner Geschöpfe. Er dürstet nach unserer Liebe.“
In den reichen, so genannt entwickelten Ländern sind viele Menschen, auch junge, gefangen in „unsichtbaren Sterbehäusern“. (Der Ausdruck stammt von Mutter Teresa.) Die Selbstmordrate ist alarmierend. Sie haben nur allzu viel aus ihrem Leben zu machen. Das Wort „Stress“ ist in aller Munde.
Viele alte Menschen warten in Einsamkeit und Gleichgültigkeit seitens ihrer Nachbarn auf den Tod und sterben in vollständiger Einsamkeit und Verlassenheit. Allein die Fliegen und der Ekel erregende Geruch ihres verwesenden Körpers tun ihr Verschwinden kund.
„Du musst Gott nicht in fernen Ländern suchen gehen“, teilt uns Mutter Teresa noch mit, „dort ist Er nicht. Er ist in deiner Nähe. Lass nur deine Lampe brennen, und du wirst Ihn stets sehen. Wache und bete.“ Kalkutta ist in unseren Herzen, unseren Städten.

 

DER FRIEDEN BEGINNT MIT EINEM LAECHELN: EINEM STERN IN DER DUNKLEN NACHT

Ich bin in Khaligat, einem der ersten berühmten Sterbehäuser. Wie Prem Dan nimmt es jene auf, die sterben werden. Hier herrscht ein Andrang von Freiwilligen, hauptsächlich Junge, die von überall herkommen (Russland, Japan, Frankreich, Amerika, Kanada, Tschechien,…). Sie alle wollen ihre Zeit, ihre Liebe all jenen geben, die sich auf ihre letzte Reise begeben. Einige besorgen die Wäsche, andere waschen diese skeletthaften, mit Scheisse verschmierten Körper, noch andere halten die Hand jener, die an der Schwelle des Todes angelangt sind. Näher bei mir war eine junge Krankenschwester, kaum 18 Jahre alt, damit beschäftigt, einem alten, vom Brand befallenen Mann, die Würmer aus einer Wunde zu entfernen. Weiter entfernt richtete ein 17jähriger Jüngling zwei jungen Paraplegikern mit einem äusserst scharfen Messer den Bart her. Nach einer Weile stiess ein Behinderter respektablen Alters, seinen Rollstuhl auf seinem Auto, zu uns, angetrieben durch die gleiche Sache, diejenige der Kleinen. Er stand einem Kranken bei, der erfolglos versuchte, einen anderen mit einem Stück Keks zu füttern. Die Armen werden uns weiterhin belehren! An diesem Tag hatte die Menschlichkeit in Khaligat, am Krankenbett des Menschen ihr Stelldichein. Es war beeindruckend, dass die Krankenschwestern sowie die Freiwilligen, inmitten allen Elends, stets ein Lächeln auf den Lippen hatten. Sie verteilten nicht nur Brot und Seife, sondern auch, und dies zur Hauptsache, das beste, das sie zu verschenken haben, ihr Lächeln, die Liebe Christi. „Der Frieden beginnt mit einem Lächeln“, pflegte Mutter Teresa zu sagen.
Als einziger der Gruppe beherrschte ich die Sprache SHAKESPEARES nicht. Als guter Kontemplativer lächelte ich, aber ich wagte nicht zu sprechen. Jemand trat zu mir. Später erfuhr ich, dass es der reformierte Pastor war. In einem etwas zögerlichen Französisch fragte er mich: „Weshalb dieses Schweigen?“ „Mein Englisch hinkt“; antwortete ich ihm, „und ich wage kein einziges Wort zu stammeln.“ „Mach dir nichts draus“, sagte er. „Hier brauchen wir all das nicht. Wir sprechen nur eine einzige Sprache, die Sprache der Liebe. Diese Sprache versteht und spricht jeder.“ Er hatte recht.

 

SCHÖN, DIR ZU BEGEGNEN…UNS ZU BEGEGNEN

„Nehmt einander an, lächelt einander zu. Das ist nicht immer einfach“, sagt Madre. “Es kommt vor, dass ich Mühe habe, meinen Schwestern zuzulächeln.
Also haben wir es nötig, zu beten. Wir müssen in uns einen Platz für Jesus schaffen. Nur so sind wir fähig, den anderen diesen Platz zu geben.
Wenn ihr die Kunst des gegenseitigen Annehmens erlernt, werdet ihr Jesus immer ähnlicher werden, denn sein Herz ist nur Wohlwollen, und Er denkt immer an die andern.
Während Jesus unter den Menschen weilte, hat Er nur Gutes getan. Genauso seine Mutter: In Kana hat sie an die Bedürfnisse der andern gedacht und es Jesus wissen lassen.“

„Schön, dir zu begegnen.“ Dieses Wort war auf den Lippen aller Priester des „Corpus Christi Movement“.
Ja, das Stelldichein in Kalkutta war jenes der Begegnung, des gegenseitigen Annehmens, des Gebets und des Dienstes an den Ärmsten der Armen.